Dialog zwischen Diakoniewissenschaft und Religionspädagogik: „Inklusion Leben in Kirche und Gesellschaft?“
Bedarf es einer „Entdiakonisierung“ der Wahrnehmung, um traditionelle diakonische Ideale wie Schutz und Fürsorge zugunsten von Selbstbestimmung und Teilhabe zu überwinden? Wie lässt sich eine „inklusive Diakonie“ denken und umsetzen? Ausgehend von dem Konzept der Vulnerabilität knüpfte Anika Albert an grundlegende theologische Überlegungen zum Menschenbild an und entwarf das Bild einer intermediären Diakonie, die im exegetischen Sinne von John N. Collins aktiv „dazwischen geht“ und „ihren Auftrag aufführt“ – im konkreten Gemeinwesen vor Ort und in globaler Perspektive.
Ulrike Witten entgegnete, dass Diakonie und Kirche das Thema Inklusion oftmals allzu praxisorientiert und limitiert auf Menschen mit Beeinträchtigungen aufnähmen. Ihr Anliegen als Wissenschaftlerin sei es hingegen, Inklusion als menschenrechtlich begründetes Engagement für die gleichberechtigte Teilhabe aller in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verstehen. In diesem Sinne sei Inklusion nicht nur eine Zielperspektive, sondern auch eine Wahrnehmungshilfe und ein Analyseinstrument. So müsse beispielsweise gefragt werden, warum und wie Heterogenitäten und Differenzsetzungen entstehen und welche Machtperspektiven damit verbunden seien. Wer legt eigentlich fest, was normal ist und was als abweichend gilt? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus – auch für die Praxis diakonischer Organisationen?
Beide Professorinnen waren sich einig: Nicht zuletzt hätten sich diakonische Einrichtungen in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Außenwirkung immer wieder als exkludierende Sonderwelten erwiesen und damit an vielen Stellen auch Schuld auf sich geladen. Auch hier gelte es zunächst wahrzunehmen, was passiert sei, um angemessene Umgangsformen mit dem Geschehenen zu finden. Sodann sei neu zu überlegen, inwiefern sich persönliche Haltungen, aber auch Vorstellungen von Professionalität unter den Bedingungen von Inklusion verändern könnten und müssten. Als zentrale Herausforderung für Religionspädagogik und Diakoniewissenschaft betrachteten Witten und Albert die Frage, wie sich Inklusion unter den Bedingungen der schwindenden gesellschaftlichen Relevanz von Kirche und einer zunehmend säkularen Gesellschaft auch theologisch reflektieren und umsetzen lasse. So werde sich auch in Zukunft immer wieder neu herausstellen, inwiefern Anspruch und Wirklichkeit von Inklusion sich aneinander reiben und miteinander in Einklang bringen lassen.
Rund 100 geladene Gäste verbrachten einen anregenden Sommerabend zunächst im Großen Saal und dann im Garten der Neuen Schmiede – ein besonders passender Ort, da das inklusiv ausgerichtete Kulturzentrum im Zentrum der Ortschaft Bethel Begegnungsmöglichkeiten für alle Menschen und eine Atmosphäre bietet, die zum Austausch auf wissenschaftlicher und persönlicher Ebene anregt.
Zugleich war die Antrittsvorlesung – wie auch Dekan Prof. Peter Kramper in seiner Begrüßung betonte – ein gelungenes Signal der intensiven Zusammenarbeit zwischen IDWM und der Abteilung Theologie – und ein klares Zeichen dafür, dass das Institut inhaltlich und menschlich an der Universität Bielefeld angekommen ist, auch wenn es räumlich in Bethel beheimatet ist und bleibt.